Fundstücke aus dem Sylter Archiv

(Folge II)

Am 4. März 1743 betreten Erkel Nickelsen (1694-1782), und ihre inzwischen erwachsenen Zwillinge Maren Steffens (1717-1802) und Mochel Steffens (1717-1787) die Sylter Landvogtei in Tinnum. Sie sind vor dem Landvogten Matthias Matthiesen (1715-1788) erschienen, um ein Rechtsgeschäft zu tätigen. Die drei schließen einen „Vergleich“. Dieser beinhaltet, dass die Mutter bis zum ihrem Tode Besitzerin des von der Familie bewohnten Hauses in Westerland bleiben kann, ohne eine Ablösung zahlen zu müssen. Danach soll der Besitz von Haus und Staven an die Tochter übergehen, die nach Zahlung einer Ablösesumme „nach einer billigen Taxation“[i] alleinige Eigentümerin wird. Ihr Bruder Mochel verzichtet dann für sich und seine Erben auf alle weiteren Rechte.[ii]

Wir haben es also bei dem hier abgebildeten Dokument mit einer Erbauseinandersetzung im Jahre 1743 zu tun.

Als Zeuge bei diesem Vertrag fungiert u.a. der Grönlandkommandeur und Strandinspektor Lorenz Petersen de Hahn, wie aus der obersten Unterschrift rechts unten auf dem Dokument zu sehen ist. Links unterschrieb der Landvogt Matthiesen. Sehr gut erhalten ist auf diesem 280 Jahre alten Dokument auch das Sylter Siegel aus rotem Lack, das einen Hering[iii] zeigt.

Der Vater der unehelich geborenen Zwillinge Maren und Mochel war der Westerländer Steffen Muchelsen. Durch die Abschrift eines Gerichtsprotokoll aus dem Jahre 1718[iv], das bereits 1977 veröffentlicht wurde, ist bekannt, dass Muchelsen Erkel Nickelsen entjungfert hatte, während sie als Magd in seinen Diensten stand. Zu zahlen hatte er „pro defloratione[v] 50 Rthl.[vi] und den „aus solchen bey Schlaff[vii] gebohrnen zweyen Kindern Jährlich ein jedes 10 Rthl. biß sie 12 Jahre alt, und weiter biß Sie 18 Jährig 5 Rthl und zwar quartaliter[viii] zu entrichten …“. Muchelsen hatte also eine Kompensation für die Entjungferung und Alimente für die Kinder bis zu ihrem 18. Lebensjahr zu entrichten.

Heirats- und Taufregister der Sylter Kirchspiele sind weitere Quellen, die vom Leben der Familie berichten. 1743, zur Zeit des Rechtsgeschäft, hat Sohn Mochel bereits geheiratet und ist nach Tinnum gezogen. Seine acht Kinder werden ab 1743 in Tinnum geboren.[ix]

Aus der „Eidlichen Designation“[x] von 1745 wissen wir, dass Erkel mit ihrer Tochter in diesem Jahr noch im Haus Nummer 539 im Süden Westerlands wohnte. Tochter Maren heiratete bald darauf Hans Peter Bundis (1715-1791) und zieht zu ihm nach Tinnum. Die Mutter bleibt im Westerländer Hause zurück. Aus dem Todeseintrag[xi] von Erkel Nickelsen ist überliefert: „Diese Kinder hat sie auch in ihrer einsamen Wohnung in Südhädig aufgezogen, ist aber zeit ihres Lebens unverehelicht geblieben. … Von ihren beyden noch lebenden Kindern ist sie daselbst in ihrem Alter verpflegt worden….

 

[i] Sinngemäß. Nach einer gerechten Einschätzung. 
[ii] Eine wörtliche Transkription durch Herrn Albert Panten liegt vor.
[iii] Das Sylter Heringswappen weist auf die Heringsfischerei um Helgoland hin, die ab dem späten 16. Jahrhundert einen relativen Wohlstand nach Sylt brachte.
[iv] Schmidt-Eppendorf, Sylt, Memoiren einer Insel, Husum 1977, S. 139
[v] Für die Entjungferung
[vi] Reichsthaler
[vii] Beischlaf
[viii] vierteljährlich
[ix] Taufregister Keitum
[x] In der „Eidlichen Designation“ wurden alle auf Sylt lebenden Personen erfasst, es handelt sich um eine Art von Volkszählung.
[xi] Totenregister Westerland 1782

Das vorliegende Dokument von 1743 kam mit zahlreichen anderen Schriftstücken durch eine Schenkung ins Sylter Archiv. Die ehemaligen Besitzer konnten es weder lesen noch einordnen. Im Archiv konnten dann die beteiligten Personen identifiziert und die Quelle interpretiert und eingeordnet werden.

Dieses Beispiel zeigt, wie sich mit einigen wenigen Dokumenten das Leben von ehemaligen Bewohnern der Insel Sylt zu einem Teil rekonstruieren läßt.

Daher die Bitte: Keine alten Dokumente wegschmeißen – bringen Sie sie einfach im Sylter Archiv vorbei! Dann wird aus diesen papiernen „Mosaiksteinen“ im besten Falle – Sylter Geschichte!